Interview Mia May

Veröffentlicht am 22.04.2024 22:53
Interview Mia May

In den schweizerischen und deutschen Medien wurde jüngst, vermehrt und mit mangelnder Objektivität über die schlechten Bedingungen der Sexarbeiterinnen berichtet.
Mit eiserner Hartnäckigkeit und ohne Abgleich mit der Realität werden darin die Sexarbeiterinnen als Leidtragende bzw. Geschädigte, die gesamte Branche als zwielichtig, mehr noch – als skrupellos und die Sexkäufer als Täter dargestellt.
Um diese Vorurteile zu widerlegen, haben wir uns mit verschiedenen Leuten aus dem Gewerbe getroffen und gesprochen. Eine davon ist die junge Mia May, die seit mehr als vier Jahren sexuelle Dienstleistungen in der Schweiz anbietet. Wir wollten von ihr wissen, wie gefährlich dieser Job ist, ob sie jederzeit damit aufhören kann und wie ihre Arbeitsbedingungen sind.
Nehmen Sie sich Zeit und lesen Sie das aufschlussreiche Interview hier:

Frage: Arbeitest du freiwillig oder gibt es irgendeine Fremdbestimmung, einen Zwang?

Mia May: (Lacht) Oh, ich arbeite nicht freiwillig! Ich wäre hervorragend geeignet als Multimillionärin, die ihr Vermögen auf Reisen verjubelt. Aber da ich nicht mit dem goldenen Löffel geboren wurde, muss ich arbeiten, um zu essen, Miete zu zahlen und dem Finanzamt seine Daseinsberechtigung nicht streitig zu machen. Ausserhalb dieses gesellschaftlichen Zwangs gibt es aber keinerlei Gewalt, die mich zwingt.

F: Uns interessiert, ob du dich in deiner Arbeit wohlfühlst.

Mia: (Lacht) Ihr seid schon ulkig. Aber ich verstehe natürlich den ernsten Hintergrund der Frage. Daher lasst mich bitte etwas weiter ausholen. Ich habe mich völlig freiwillig für meinen Beruf entschieden. Als 14-Jährige bin ich über Berichte in den Medien gestolpert, die alle in dieselbe Richtung gingen. Es wurden Opfer der Zwangsprostitution nach 20 Jahren Arbeit gefragt und sie hassten die Männerwelt. Die Kunden wurden immer als Schweine dargestellt und die Sexworker stets als Opfer.

Das hat mich neugierig gemacht und ich fand sehr schnell raus, dass es ein öffentlich gefördertes Bild war, welches man bis heute durch Vermischen von Realitäten manifestieren will.

Ich möchte diesen interviewten Damen Nichts unterstellen. Sie haben sicher gelitten. Aber sie waren bestimmt keine Erotikdienstleister. Weder waren es Huren noch Prostituierte, denn das ist ein völlig legaler, wichtiger Beruf, welcher im Grunde keinen Unterschied zu allen anderen Berufen besitzt.

Es liegt an dem Vermischen von unterschiedlichen Dingen. Man würde doch einen Drogendealer niemals Apotheker nennen, ein Crashkid niemals Automobilfachman und einen Bankräuber niemals Finanzberater, oder? Warum nennt man die Opfer des Menschenhandels, die Opfer von Zuhältern, Drogenkriminelle und andere Verbrecher Prostituierte? 

Wir Prostituierten haben unseren Beruf freiwillig gewählt. Wir kümmern uns gleichermassen um alle Geschlechter, wir bewegen uns nach Maslow auf der Ebene der Grundbedürfnisse und sind gleichermassen für die Menschen da, welche sich nur mal entspannen wollen, wie aber auch für die grosse Gruppe Menschen, die zwar sexuelle Bedürfnisse haben, gesellschaftlich aber keinen Zugang besitzen. Witwer zum Beispiel oder oftmals Beeinträchtigte wie Autisten, Rollstuhlfahrer oder einfach einsame Menschen, die es in ihrer Lebenswelt verlernt haben, Anschluss zu finden oder zu halten.

Ja. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Arbeit. Ich habe sie mir immerhin ausgesucht. Ich liebe meinen Beruf. Er ist wichtig und orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen. Meine Kunden sind keine Schweine, weil sie zu einer Nutte gehen. Es sind gute Menschen, die Kraft für ihren Alltag tanken, um ihn weiterhin positiv zu gestalten.

F: Werden deine wirtschaftlichen Erwartungen erfüllt?

Mia: Nein. Ich arbeite 100 bis 120 Stunden 7 Tage in der Woche. Ich halte nichts von dem üblichen gesellschaftlichen Arbeitsrhythmus. Aber das ist ein anderes Thema.

Das Problem in meinem Beruf ist zunächst dasselbe wie in allen anderen. Die Kosten explodieren. Man müsste, um die Kostenexplosion der letzten 4 Jahre aufzufangen, seine Preise um mehr als 40 Prozent erhöhen. Das kann aber keiner bezahlen. Also brechen überall die Gewinne und somit die Wirtschaftlichkeit ein. Das ist schon frustrierend. Hier gibt es aber in meinem Business noch eine Besonderheit. 

Der Schweizer ist sparsam. Obwohl verhältnismässig hohe Löhne gezahlt werden mit denen enorm teure Mieten, Neuwagen, gutes Essen etc. bezahlt werden, ist es beim Sex oft so, dass billig noch nicht billig genug ist.

Viele rennen in siffige Aparthotels und suchen in fragwürdigem Ambiente und unter fürchterlichen hygienischen Zuständen ihren Spass. Dabei vernachlässigen sie, dass billig auch immer ein Indikator für Kriminalität ist. Und dass billig auch äusserst ungesund ist, davon will ich an dieser Stelle nicht reden. 

Noch schlimmer trifft es die Bordelle. Guter Service ist teuer. Nur das wollen viele nicht wahrhaben.

F: Hast du das Gefühl, rechtlich in der Schweiz geschützt zu sein? Gibt es Hilfsangebote in Notfällen?

Mia: Nein und ja. Ein schwieriges Thema. Hilfsstellen gibt es. Die Mitarbeiter opfern sich fast auf, um durch diesen Moloch zu gelangen. 

Aber im Grunde fehlt es überall an allem. Die Schuld liegt hier meines Erachtens in den oftmals fehlenden und oder falschen Gesetzen. Der Staat will die Steuern, ist sich aber nicht der Verantwortung bewusst. Zumindest hat es manches Mal den Eindruck. Ein Beispiel: Die Erotikanzeigen sind voll mit «Party/Schnee» Angeboten. Jeder weiss, dass dort Drogen verkauft werden. Nur in der Schweiz wird damit offen geworben. Sie können das, weil es keinen interessiert. Doch wo bekommen die Frauen das Zeug her? Es lässt vieles vermuten. Nichts davon ist gut, nichts davon ist legal.

Eine Arbeitsbewilligung ohne persönliche Vorsprache zu erteilen, öffnet Kriminellen alle Türen. Es gibt hier so viele Verfehlungen seitens des Gesetzes, dass ich mal sagte, dass die vorhandene Gesetzeslage Zuhälterei fördert. Heute würde ich das so nicht mehr unterschreiben, aber es muss dringend mehr gemacht werden. Und es fängt eben dabei an, den Beruf der Prostituierten zu respektieren und nicht mit Verbrechern gleichzusetzen.


Mein Beruf hat einen Platz in der Gesellschaft verdient.” – Mia May


F: Hast du gefährliche Situationen in deinem Beruf erlebt?

Mia: Ja. Weniger als jeder Polizist, jeder Feuerwehrmann und jede Krankenschwester, aber es gibt natürlich auch unangenehme Kontakte. Wenn ich einen vor die Tür setze, weil sein Auftreten, seine Hygiene oder ähnliches nicht passt, wird sich oft in Foren gerächt. Sowas gehört dazu.

Einmal hatte ich es mit Identitätsdiebstahl zu tun, was allerdings geklärt wurde, ein anderes Mal mussten meine Sicherheitsvorkehrungen greifen, da der Kunde (Leitende Position im Finanzwesen) bei mir einziehen wollte. (Mia lacht).

Er packte seinen Koffer aus und wollte nicht mehr gehen. Das war schon merkwürdig. Insgesamt aber hat es in meinem Beruf sicher nicht mehr unangenehme Situationen als beim Bäcker. Die Sicht auf das Gewerbe ist falsch. Und wird vorsätzlich so dargestellt.

Natürlich, wenn ich für 50 CHF auf dem Drogenstrich Geld einsammle, gibt es ganz andere Probleme. Aber wie erwähnt, ordnet diese Leute nur der Volksmund meinem Business zu.

F: Hast du schon mal im Club gearbeitet?

Mia: Nein. Ich bekomme viele Anfragen, aber es hat sich bislang nie ergeben, wenngleich ich immer interessiert bin.

F: Wenn du nächste Woche einen anderen Job angeboten bekommst, zum Beispiel im Verkauf, würdest du ihn annehmen?

Mia: Nein! Ich habe meinen Beruf gefunden. Er ist so vielfältig und abwechslungsreich, dass ich mit meiner Wahl völlig glücklich bin.

F: Hättest du Alternativen? 

Mia: Natürlich. Man sollte nie ohne Alternativen sein. Vielleicht habe ich irgendwann Lust auf was Einfacheres. Dann würde ich z.B. eventuell Medizin studieren (Mia lacht)

F: Angenommen, dein jetziger Beruf wäre in der Gesellschaft anerkannt. Würdest du offen dazu stehen?

Mia: Noch offener? Dann bräuchte ich wohl eine Leuchtreklame auf dem Kopf (Lacht). Im Ernst, natürlich haben sich ein paar Freunde abgewandt, aber das liegt an Vorurteilen. Und wo gibt es die nicht. Das Einzige, was mich wirklich verärgert sind die Verlogenen

Niemand muss zugeben, dass er oder sie erotische Dienste nutzt, aber wenn ich sie nutze, sollte ich wenigstens nicht mit dem mahnenden Finger darauf zeigen. Ich persönlich schütze die Diskretion eines jeden Gastes zu 100 Prozent. Aber ich selbst sage ganz offen, öffentlich und mit Stolz, was ich beruflich mache.

F: In den Medien wird behauptet, dass die Psyche von Sexworkern mit der Zeit leidet. Wie siehst du das?

Mia (Lacht): Ich bin mir unsicher, ob ich die richtige Ansprechpartnerin bin, um mich selbst zu beurteilen.
Ich würde aber sagen nein. Die Psyche leidet in meiner Lebenswelt, für welche ich selbst verantwortlich bin. Wenn ich mich für das, was ich tue, schäme und mich selbst verleugne oder verstecke, dann bestimmt. Wenn ich ein Opfer bin, ganz sicher.

Aber solange ich meinen Beruf gerne mache, ist es unwahrscheinlich. Sollte sich das jemals ändern, habe ich ein Umfeld, welches mich vor mir selbst schützen würde. Ich glaube, dass es darauf ankommt. Familie, gute Freunde. Ich habe zum Beispiel einmal pro Woche eine Supervision zur Reflexion, wie es in der Pädagogik so schön heisst. Ich finde es wichtig, denn es hilft dabei sich selbst zu betrachten. Und im Ergebnis ist es bislang unverändert. Ich bin noch immer voller Lebensfreude und Energie, um noch hoffentlich lange diesen fantastischen Beruf nachzugehen.

Hier noch unser aktueller Artikel: Im Interview dieses Mal das Joy House. Wir wollten herausfinden, wie man mit den Arbeitsbedingungen, Regularien und Massnahmen zum Schutz von Sexarbeiter:innen in einem Erotik-Club umgeht und was es mit den ungenauen und subjektiven Informationen über Sexworker:innen auf sich hat.


So darf man nicht mit Frauen umgehen! ” – Frank Medien-Produzent




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